50 Jahre "Tatort" im Ersten
Von Matthias Dell · 28.11.2020
Am 29. November 1970 lief der erste "Tatort". Ein halbes Jahrhundert später wird die 1146. Folge der populären Krimireihe gezeigt: "In der Familie". Was dazwischen geschah, erzählt die sechsteilige DLF-Kultur-Reihe "Geschichten vom Tatort".
Weil das ZDF schon eine Krimireihe hatte, brauchte auch die ARD ein solches TV-Format und legte kurzerhand nach. Am 29. November 1970 wurde der erste "Tatort" ausgestrahlt: "Taxi nach Leipzig". Was damals keiner ahnen konnte: 50 Jahre und 1145 Folgen später flimmert der "Tatort" immer noch jeden Sonntag über die Bildschirme – für ein Millionenpublikum ist er Kult.
München und Dortmund
Zum 50. Jubiläum gibt es eine Doppelfolge, deren Auflösung sich über zwei Sonntage zieht und zwei Ermittlerteams beschäftigt: Dortmund und München. "In der Familie" heißt die Folge und wie der Name schon vermuten lässt, geht es darin um die Mafia, konkreter: um eine Figur, die in München gemordet hat und in Dortmund Unruhe verbreitet in einem Restaurant, das eigentlich nur dazu dient, Drogenlieferungen ungestört organisieren zu können.
Der Vorteil der Doppelfolge: Man hat mehr Zeit. Wir sehen also, wie die Dortmunder und Münchner Teams darüber streiten, ob sie einen Mörder festnehmen oder einen größeren Schlag gegen das organisierte Verbrechen landen, wofür vor allem Dortmunds Faber votiert. Dazu lässt Tatort-Altmeister Dominik Graf den Schauspielern genügend Raum. Ein gelungener Auftakt!
Szene aus dem ersten Teil der Tatort-Jubiläumsfolge "In der Familie".© Bild: WDR/Frank Dicks
Glanz und Elend
Der "Tatort" wird gern als Flaggschiff bezeichnet, die ARD ist stolz, weil die Sendereihe so traditionsreich und populär ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Filme alle gut sind. Im Gegenteil. Einmal geht es sogar so weit, dass die Ausstrahlung der Berliner Folge "Ein Hauch von Hollywood" mit Winfried Glatzeder als Kommissar 1998 verschoben wird auf Montag, 23 Uhr.
Szene aus dem Tatort "Ein Hauch von Hollywood".© picture alliance / United Archives
Seltsam ist der Fall, eine Parodie aufs Filmgeschäft, die Regisseur Urs Odermatt gemacht hat. Aber es geht in nicht so sehr um das Was, sondern um das Wie. Der Film wirkt einerseits wie Theater mit absurden Auftritten und der Künstlichkeit des Sprechens. Anderseits ist er extrem filmisch mit ungewöhnlichen Perspektiven und dem Rhythmus, in dem Geräusche, Atmer, Töne choreografiert werden.
Repräsentation und Quote
Florence Kasumba spielt seit 2019 die erste schwarze Kommissarin. Davor war sie in sieben "Tatort"-Nebenrollen aufgetreten, in den meisten Fällen durfte sie aber nicht die Sprache sprechen, mit der sie im Ruhrgebiet groß geworden ist: fließend Deutsch.
Kasumba musste den Weg über Hollywood nehmen, um in Deutschland ernstgenommen zu werden.
Florence Kasumba (links) und Maria Furtwängler bei Dreharbeiten für den NDR-"Tatort" auf Gut Hardenberg© picture alliance / dpa / Swen Pförtner
Zahlen und Statistiken
In der Geschichte des "Tatort" gibt es viele Zahlen: 50 Jahre, 1.145 Folgen. Unter den 343 Menschen, die bislang bei einem "Tatort" Regie geführt haben, sind 19, die Peter oder Pete hießen. Und 43 Frauen.
Natürlich ist der "Tatort" lange die Domäne weißer Männer. Die erste Kommissarin bekommt 1978 ihren Auftritt, die Schauspielerin Nicole Heesters als Marianne Buchmüller.
Die erste weibliche Tatort-Ermittlerin Nicole Heesters als Kommissarin Marianne Buchmüller mit ihrem Kollegen Klaus Höhne als Kommissar Konrad.© picture alliance / Dieter Klar
Die erste "Tatort"-Regisseurin ist drei Jahre später Ilse Hofmann. Sylvia Hoffmann kommt als zweite Regisseurin 1987 dazu, in der Folge 191: "Blindflug". Aus Hessen. Hoffmann ist schon eine bekannte Hörspielautorin und -regisseurin, als sie Anfang der 1980er-Jahre die Bücher für eine Vorabendserie schreibt und als Autodidaktin auf den Regiestuhl beim Film wechselt. 14 "Tatort"-Folgen wird sie bis 2002 drehen.
Dass es einen Unterschied machen kann, wenn eine Frau für Buch und Regie zuständig ist, lässt sich an "Der Rastplatzmörder" von 1994 sehen, Hoffmanns wohl bestem "Tatort". Es geht um den Mord an einer jungen Frau. Der Täter ist ein Mann, der die Erfahrung von Schwäche nur mit Gewalt betäuben kann. "Toxische Männlichkeit", würde man heute sagen.
Gesellschaft und Probleme
Schon früh will der "Tatort" mehr als ein Krimi sein, es soll von gesellschaftlichen Problemen erzählt werden. Und Mitte der 1980er-Jahre heißt das für Kommissar Stoever: Skinheads. "Voll auf Hass" heißt die Hamburger Folge, die am 8. November 1987 ausgestrahlt wird. Und in der Tayfun Bademsoy die Rolle des Erdal spielt, der eine Dagmar liebt, aber nicht darf. Auf der Verlobungsfeier taucht eine Horde Skinheads auf, schlägt alles kurz und klein - und Erdal tot. Die Skinheads werden von Original-Skinheads gespielt – eine fragwürdige Form der Sozialarbeit beim Drehen.
Szene aus dem Tatort "Voll auf Hass" mit Manfred Krug (re.) als Kommissar Paul Stoever.© NDR
Dieses Wohlmeinen macht aus "Voll aus Hass" eher einen Teil des Problems als die Lösung im Umgang mit Rechtsextremismus. Die größte Empathie bringen ausgerechnet die Kommissare für den Vater von Dagmar auf: In einer absurden Rolle heult sich Ulrich Pleitgen als Vater durch den ganzen Film, weil er unmöglich akzeptieren kann, wen die eigene Tochter liebt.
Weiße Zerbrechlichkeit 1987: Der deutsche Vater verursacht einen Auftragsehrenmord am Schwiegersohn, damit die Tochter sieht, was ihr blüht, wenn sie den Mann, den sie liebt, heiraten will.
Theater und Fernsehen
Das Fernsehen hat früh gemerkt, dass es mit dem Fernsehen spielen kann. Schon in der 14. Tatort-Folge vom Januar 1972 kommt vor dem berühmten Vorspann der Tagesschau-Sprecher Werner Veigel ins Bild.
So beginnt "Münchner Kindl", der erste Fall des Kommissars Melchior Veigl. Gespielt wurde Veigl von Gustl Bayrhammer, der zu dieser Zeit aber vor allem auf den Münchner Bühnen zu Hause war.
Dem Fernsehen merkte man damals noch an, dass es vom Theater kam. Regisseur von "Münchner Kindl" war Michael Kehlmann. Der machte, was es heute praktisch nicht mehr gibt: Theater und Fernsehen zugleich. Sein Sohn, der Schriftsteller Daniel Kehlmann erinnert sich auch an den ungewöhnlichsten "Tatort" des Vaters: "Pension Tosca oder die Sterne lügen nicht".
Tatort: Münchner Kindl © BR / Foto Sessner
Realismus und Echtheit
Mit dem Realismus ist es so eine Sache bei fiktionalen Filmen. Das war es im "Tatort" immer. Die Ansichten gingen schon am Anfang auseinander.
Eberhard Fechner dreht die sechste "Tatort"-Folge "Frankfurter Gold", die im April 1971 als erster Beitrag des Hessischen Rundfunks zur Reihe ausgestrahlt wird. Fechner ist Dokumentarist, sein Debüt "Nachrede auf Klara Heydebreck" macht ihn 1969 schlagartig bekannt. Der Film rekonstruiert aus Dokumenten und Interviews die Biografie einer einsamen Frau, die sich mit Anfang 70 das Leben nimmt.
Im Tatort "Frankfurter Gold" geht es um ein Schneeballsystem mit gefälschten Goldbarren.© HR/Kurt Bethke
Fechner interessiert sich damals für reale Verbrechen. Auch bei seinem "Tatort: Frankfurter Gold", der im Grunde das ist, was man heute bei Streamingdiensten klicken soll – ein deutsches True Crime-Format.
Grüße vom "Polizeiruf" aus Rostock
Man kann natürlich nicht "Tatort" sagen, ohne auch an den "Polizeiruf" zu denken. Der "Tatort" mag als westdeutsche Krimireihe begonnen haben und das tief drinnen auch noch sein, aber die Krimireihe hat sich immer um gute Beziehungen gen Osten bemüht. "Taxi nach Leipzig" lautete schließlich der Titel der allerersten Folge.
Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner vom Rostocker "Polizeiruf 110"© picture alliance/dpa/Harald Tittel
Wir haben deshalb das Team vom "Polizeiruf" in Rostock gebeten, uns Erinnerungen an den "Tatort" zu schicken. Der "Polizeiruf" Rostock gilt vielen als besserer, wenn nicht bester "Tatort". Die Schauspieler Charly Hübner, Josef Heynert, Anneke Kim Sarnau und Uwe Preuss oder Bukow, Volker, Frau König und Henning Röder haben ihre "Geschichten vom Tatort" geschickt: Autos, Watt und Elbtal.
Author: Jessica Thomas
Last Updated: 1702815961
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